Seit März 2020 wird allseits die Frage diskutiert, wer die Auswirkungen der „Corona-Krise“ zu tragen hat. Hintergrund war bekanntlich die Bund-Länder-Vereinbarung vom 16.03.2020, mit welcher Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen für den Publikumsverkehr zu schließen waren. Mitbetroffen waren ebenfalls Sporteinrichtungen, Fitnessstudios, Schwimmbäder und sonstige Einzelhandelsverkaufsstellen. Restaurants waren zum damaligen Zeitpunkt noch nicht gänzlich betroffen. Die vollständige Schließung folgte später.
Aufgrund dieser extremen finanziellen Belastung für die Mieter wurden Fragen nach einer Risikoverteilung im Miet- und Pachtrecht immer lauter. Nachfolgend soll die juristische Aufarbeitung zusammengefasst und erläutert werden.
1. Mit Art. 240 EGBGB § 2 wurde im Zusammenhang mit dem ersten Covid-19-Lockdown eine gesetzliche Regelung geschaffen, die allerdings nur eine Beschränkung der Kündigungsmöglichkeiten bei Miet- und Pachtverhältnissen vorsah: Demnach konnte der Vermieter ein Mietverhältnis über Grundstücke oder Räume nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.06.2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistete, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beruhte. Die Fälligkeit und der Verzug der Miete bleiben nach dem gesetzgeberischen Willen von dieser Regelung unberührt, die Miete muss grundsätzlich bis spätestens 01.06.2022 (verzinst) nachgezahlt werden, außer die Vertragsparteien treffen ein andere Vereinbarung oder der Mieter ist bis dahin pleite…
2. Corona als mietrechtlicher Mangel?
In § 536 Absatz 1 BGB ist geregelt, dass sich die Miete mindert, wenn ein Mangel vorliegt, der die Gebrauchstauglichkeit des Mietobjekts aufhebt oder mindert. Ein Mangel im Sinne dieser Vorschrift liegt dann vor, wenn die tatsächliche Beschaffenheit der Mietsache (Ist-Beschaffenheit) von der vertraglich geschuldeten Sollbeschaffenheit negativ abweicht. Gemeint ist jeder dem Mietobjekt anhaftende bzw. vereinbarte tatsächliche, wirtschaftliche oder rechtliche Umstand.
Die rechtlich schwierige Frage ist, ob nun die pandemiebedingten Einschränkungen, insbesondere die behördlich angeordneten Schließungen darunter fallen.
Der BGH hat eine Risikoverteilung nach Sphären entwickelt und die Fragen der Gebrauchsgewährung (bezogen auf das Mietobjekt als solches) dem Bereich des Vermieters, das sog. Verwendungsrisiko aber dem Mieter zugewiesen. Der Vermieter soll nur für die konkrete Lage und die Beschaffenheit der Mietsache verantwortlich sein. Daher muss der Vermieter die baulichen Gegebenheiten herstellen, die zur Einhaltung der für die konkrete Nutzung geltenden öffentlich-rechtlichen Bestimmungen erforderlich sind. Somit muss im Ergebnis danach differenziert werden, ob die öffentlich-rechtlichen Beschränkungen objektbezogen sind oder ob sie hingegen betriebsbezogen bzw. in der Person des Mieters liegen.
Die Schwierigkeit der Risikoverteilung zeigt sich am Rauchverbot in Gaststätten und sonstigen öffentlich genutzten Räumen. Hier hat der BGH das Vorliegen eines Mangels verneint und aufgezeigt, dass das Rauchverbot nicht an die Beschaffenheit der Mieträume anknüpft, sondern an die Art und Weise der Nutzung der Räumlichkeiten. Die Räume können trotz Rauchverbot weiter für einen Restaurantbetrieb genutzt werden. Das Rauchverbot ist daher dem Risikobereich des Mieters zuzuschreiben.
Diese Grundsätze können sich nicht ohne weiteres auf die coronabedingten behördlichen Einschränkungen übertragen lassen, da gerade die Nutzung der Räume als solche untersagt wurde. Es kann daher grundsätzlich schon davon ausgegangen werden, dass die fehlende Nutzbarkeit der Räume dem vereinbarten Vertragszweck entgegen stehen könnten. Dennoch stellt der BGH im Rahmen seiner Abgrenzung darauf ab, dass sich die öffentlich-rechtlichen Beschränkungen auf das Mietobjekt als solches beziehen müssen und gerade das dürfte bei den coronabedingten Schließungen nicht der Fall sein. Weder die Beschaffenheit der Räume noch ihre Lage waren Anlass für die Schließungen, sondern vielmehr die staatliche Vorgabe, die Anzahl von Neuerkrankungen durch Kontaktbeschränkungen so gering wie möglich zu halten. Im Ergebnis wird wohl davon auszugehen sein, dass die aktuellen Regelungen zu Betriebsverboten zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie nicht an die Beschaffenheit und Lage des Mietobjekts geknüpft sind und somit kein Mangel des Mietobjekts vorliegt.
Diese Thematik ist bereits mehrfach Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen. Die Rechtslage wurde nicht einheitlich beurteilt, das OLG München als höchstes Gericht für unseren Gerichtsbezirk hat allerdings einen Mietmangel abgelehnt (s. unten 4 e).
3. Störung der Geschäftsgrundlage
Gemäß § 313 BGB kann eine Anpassung des Vertrages verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur Vertragsgrundlage geworden sind, nach Vertragsabschluss schwerwiegend geändert haben und die Parteien den Vertrag bei Kenntnis dieser Umstände nicht oder nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätten.
Diese Grundsätze sind jedoch nicht auf die Umstände anzuwenden, die in den Risikobereich einer der Parteien fällt. Da die coronabedingten Schließungen wohl dem Verwendungsrisiko des Mieters zuzuordnen sind, ist die Anwendung dieses Rechtsinstituts problematisch. Die Rechtsprechung hat jedoch in Ansehung der Risikoverteilung eine Ausnahme für Extremfälle anerkannt, in denen eine unvorhersehbare Entwicklung mit existenzbedrohenden Folgen für eine Partei vorliegt. Die staatlichen Betriebsuntersagungen sind sicherlich als außergewöhnliche Umstände einzustufen, die außerhalb der Sphäre der Mietvertragsparteien liegen.
Klarheit schaffte der seit 1.1.2021 geltende § 7 zu Art. 240 EGBGB, wonach bei Gewerbemietverhältnissen vermutet wird, dass behördliche Schließungen zu einer schwerwiegenden Änderung der Geschäftsgrundlage führen. Bezüglich des geforderten Zusammenhangs der Existenzgefährdung wird zu prüfen sein, wie lange ein „gesundes Unternehmen“ solche Maßnahmen durchstehen kann, ohne in Existenznot zu geraten. Dabei wird es insbesondere darauf ankommen, ob der Mieter staatliche Unterstützungsleistungen beantragt und in welcher Höhe er diese tatsächlich erhalten hat. Die sogenannte Unterstützungshilfe 3 sieht – abhängig von den Umsatzrückgängen des Mieters – den Ersatz von Mieten und Betriebskosten mit bis zu max. 100 % vor: Sofern der Mieter also in diesen oder ähnlichen Größenordnungen staatliche Unterstützungen erhält, wird er sich auch gegenüber dem Vermieter nicht auf eine Halbierung oder gar Nichtzahlung der Miete berufen können.
4. Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 12.01.2022
Die Gerichte haben in zahlreichen Verfahren bisher äußerst uneinheitlich entschieden. Die Entscheidung des BGH vom 12.01.2022 zum Pandemierisiko ist daher mit Spannung erwartet worden. In seiner Entscheidung (Az. XII ZR 8/21) bestätigte der BGH, dass grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblichen genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Absatz 1 BGB in Betracht kommt.
Aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, wie Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen, und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr des Jahres 2020, ist nach Ansicht des BGH die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter ist die Erwartung der vertragsschließenden Parteien zu verstehen, dass sich die bei Vertragsabschluss geltenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Diese Erwartung beider Parteien wurde dadurch schwerwiegend gestört, dass wegen der behördlichen Anordnung das Geschäftslokal in der Zeit vom 19.03.2020 bis einschließlich 19.04.2020 geschlossen werden musste. Dafür spricht auch die neugeschaffene Vorschrift des Art. 240 § 7 EGBGB, nach der vermutet wird, dass ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrages geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verhindert hat, wenn vermietete Grundstücke oder Räume (Gewerbe) infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.
Dies allein führt nach Ansicht des BGH jedoch noch nicht zu einem Anspruch auf Vertragsanpassung. Vielmehr ist weiter Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Der BGH stellt klar, dass eine pauschale Betrachtungsweise diesen tatbestandlichen Anforderungen nicht gerecht wird. Deshalb ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts, welches pauschal von einer hälftigen Risikoverteilung ausging, fehlerhaft. Vielmehr bedarf es einer umfassenden einzelfallbezogenen Abwägung:
- Zunächst ist zu betrachten, welche konkreten Nachteile der Mieter durch die Geschäftsschließung erlitten hat. Berücksichtigt werden kann hier nur der konkrete Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung. Übergreifende, möglicherweise konzernumfassende Umsätze werden nicht berücksichtigt.
- Maßgeblich ist weiter, welche konkreten Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder hätte ergreifen können, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern.
- Da eine Vertragsanpassung niemals zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, ist nach Ansicht des BGH zu berücksichtigen, welche finanziellen Vorteile der Mieter erlangt hat: So sind staatliche Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile zu berücksichtigen, solange sie nicht auf Darlehensbasis beruhen. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur als Darlehen gewährt wurden, bleiben außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation erreicht hat, sondern das Darlehen – unabhängig von der Laufzeit – zurückbezahlen muss. Mit berücksichtigt werden können auch Leistungen aus einer gegebenenfalls einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters.
- Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz ist nach Ansicht des BGH nicht erforderlich.
- Schließlich ist bei der gebotenen Abwägung auch die wirtschaftliche Situation des Vermieters zu berücksichtigen, z. B. ob der Vermieter die Miete für seinen Lebensunterhalt braucht oder ob er hohe monatliche Finanzierungslasten zu bedienen hat.
- Nachdem das Oberlandesgericht pauschal die Miete halbiert hat, wurde das Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
Konkrete Vorgaben, wie in derartigen Fällen zu verfahren ist, enthält das Urteil leider nicht, sodass das weitere Verfahren vor dem OLG abzuwarten ist. Wir werden über den weiteren Fortgang berichten.
5. 2-G-Regelung/FFP2-Maskenpflicht
Einen Lockdown gab es im Winter 2021/22 bis heute hin nicht. Vielmehr wurde zunächst in § 10 Absatz 1 Satz 1 der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung geregelt, dass Ladengeschäfte mit Kundenverkehr für Handelsangebote nur für Geimpfte oder von einer Coronainfektion genesenen Personen sowie Kindern unter 14 Jahren betreten werden dürfen. Eine Ausnahme wurde nur für die Geschäfte vorgesehen, die der Deckung des täglichen Lebensbedarfs dienen. Diese „2-G-Regel“ setzte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Entscheidung vom 19.01.2022 vorläufig außer Vollzug und gab damit einem Eilantrag der Inhaberin eines Beleuchtungsgeschäfts in Oberbayern statt. Der Antrag wurde damit begründet, dass das Kriterium des täglichen Bedarfs durch eine ausdrücklich nicht abschließende Liste von Beispielen (Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Tankstellen, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Baumärkte, Gartenmärkte und der Verkauf von Weihnachtsbäumen) konkretisiert wird. Nach Auffassung des Senats dürfte eine „2-G-Zugangsbeschränkung“ für Betriebe des Einzelhandels im Infektionsschutzgesetz eine ausreichende gesetzliche Grundlage finden und die Voraussetzungen hierfür grundsätzlich erfüllt sein. Das Infektionsschutzgesetz gebe aber vor, dass sich die Reichweite von Ausnahmeregelungen (wie hier Ladengeschäfte zur Deckung des täglichen Bedarfs) mit hinreichender Klarheit aus der Verordnung selbst ergeben müssen und nicht auf die Ebene des Normenvollzugs und dessen gerichtlicher Kontrolle verlagert werden dürfe. Da diese Anforderungen nicht eingehalten werden, wurde die Zugangsbeschränkung vorläufig außer Vollzug gesetzt. Es bleibt abzuwarten, ob die in der Vergangenheit liegende Zugangsbeschränkung (2-G-Regel) ebenfalls durch einen Wegfall der Geschäftsgrundlage führen kann, obwohl sie weitaus weniger schwerwiegend war als die komplette Geschäftsschließung.
Die Einschränkung „FFP2-Pflicht“ wird wohl zu keinem Wegfall der Geschäftsgrundlage mehr führen können, weil es sich dabei um keine echte Zugangsbeschränkung mehr handelt.